Fortgeschrittene Strategien
Der organisierte Sport und insbesondere die Sportvereine haben eine große Wirkung in der Gesellschaft und können eine wichtige Ressource sozialer Integration sein. Aber auch im Sport bedarf es der Planung, Steuerung und aktiven Gestaltung von integrativen Prozessen, damit diese nachhaltig wirken können. Gleichberechtigte Teilhabe aller am und die nachhaltige Integration neuer Zielgruppen in den Sport werden – auch im Hinblick auf die Sicherung des Fortbestands und Entwicklung der vielfältigen Sport(vereins-)landschaft – zentrale Aufgaben des organisierten Sports werden.
Informationen und Wissen über die Bedürfnisse und Bedarfe
Die Öffnung für Vielfalt und Diversität erfordert in erster Linie Informationen und Wissen über die Bedürfnisse und Bedarfe der vielfältigen Gesellschaft. In Sportvereinen müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die soziale Integrationsprozesse ermöglichen und befördern. Die Integration neuer Zielgruppen funktioniert nur als Querschnittsaufgabe und sollte in allen Abteilungen und Bereichen des Vereins als gemeinsame Haltung verstanden und getragen werden. Dazu gehört auch der Blick nach innen und die interne Prüfung systemischer Hürden im Verein sowie die aktive Sensibilisierung der Vereinsmitglieder.
Zuletzt bedarf es der Klarheit sowohl über die Zielgruppe, die erreicht werden soll, als auch hinsichtlich der Ziele, die im Verein damit verfolgt werden (Mitgliederzuwachs, Ehrenamtsgewinnung, Angebotsentwicklung oder soziales/gesellschaftliches Engagement). Dazu ist eine Analyse erforderlich, welche Zielgruppe im (geographischen) Vereinsumfeld anwesend, aber nicht nachhaltig an den Verein angebunden ist und ob Angebotslücken für diese Zielgruppe bestehen, die der Verein füllen kann.
Realisitische Einschätzung
Wie der obige Abriss zur Öffnung für Vielfalt und Diversität vermuten lässt, bedarf die Umsetzung einer realistischen Einschätzung dessen, was im Verein tatsächlich anhand der personellen, finanziellen und infrastrukturellen Ressourcen realisiert werden kann. Wichtig dabei: Die Öffnung für Vielfalt und Diversität ist ein Prozess! Es soll nicht mit der Erwartungshaltung herangegangen werden, ein fertiges und passgenaues „Endprodukt“ für den Verein zu entwickeln und anzuwenden! Vielmehr ist entscheidend, mit kleinen Schritten anzufangen und zu prüfen, ob diese Schritte Wirkung zeigen. Dies bedeutet auch, dass Fehler bzw. „Niederlagen“ erlaubt sind. Sollte eine Maßnahme, ein Angebot, ein Projekt nicht die erhoffte Wirkung zeigen, ist dies ein positiver Lerneffekt, um neuere, passgenauere Formate zu entwickeln und anzugehen.
Perspektive Mitgliederzuwachs
Für die Mitgliedergewinnung ist essenziell zu evaluieren, welche Zielgruppe im (geographischen) Vereinsumfeld anwesend, aber (noch) nicht adäquat im Verein vertreten ist sowie ob und inwiefern das bestehende Vereinsangebot nach außen attraktiv auf diese Zielgruppe wirkt (► Angebotsentwicklung). Die Akquise von Mitgliedern aus bestimmten gesellschaftlichen Milieus bspw. Menschen mit Migrationsgeschichte wird künftig eine wachsende Bedeutung für die Sicherung des Fortbestands von Abteilungen, Vereinen selbst sowie der vielfältigen Sportlandschaft insgesamt zukommen.
- Was soll nach einer definierenden Zeit (bspw. nach 3 Jahren) besser/anders sein als heute?
- Welche Zielgruppe(n) (Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, sozial Benachteiligte, wohnungslose Personen, FLINTA*-Personen, usw.) aus dem (geographischen) Umfeld sind im Verein nicht oder kaum zu finden?
- Welches Sportangebot haben wir? (► Angebotsentwicklung)
- Gibt es „Angebotslücken“ in der Vereinslandschaft im Umfeld des Vereins, die wir füllen können und möchten? (► Angebotsentwicklung)
- Gibt es Nachfragen zu anderen (Sport-)Angeboten, die wir im Rahmen unserer Ressourcen umsetzen können? Was wünschen sich bestehende Mitglieder? (► Angebotsentwicklung)
- Spricht unser Angebot die Interessen und/oder Bedürfnisse dieser Zielgruppe an? (► Angebotsentwicklung)
- Können wir unser Angebot effektiv(er) und zielgruppenbezogener bewerben? (► Angebotsentwicklung)
- Ist die Zielgruppe bereits in unserem Verein vertreten? Gibt es bereits Personen aus der Zielgruppe, die mittrainieren, Trainings anbieten oder Funktionen im Verein haben?
- Haben wir bereits einen Zugang zur Zielgruppe bspw. Personen aus der Zielgruppe im Verein, Kooperationspartner in der Umgebung, die bereits Zugänge zur Zielgruppe habe?
- Welches Netzwerk, also Einrichtungen, Organisationen, Vereine (Diakonie, Caritas, Jugendhäuser, Initiativen) usw. gibt es in meinem Vereinsumfeld, die die diese Zielgruppe bereits erreichen/mit der Zielgruppe zusammenarbeiten? Wie können diese meinen Vereinen bei der Erreichung der Zielgruppe unterstützen?
- Haben wir Angebote und Veranstaltungen außerhalb unseres Regelbetriebs, die potenzielle neue Mitglieder ansprechen? (Tag der offenen Tür, Schnuppertage/-kurse, Vereinsfeste, Freundschaftsturniere usw.)
- Wie stellen wir uns in der Öffentlichkeit (Homepage, Flyer, Printmedien, Social Media usw.) dar? Erreichen wir mit unseren Kanälen (auch) diese Zielgruppe? Wie müssen meine Beiträge für die unterschiedliche Kanäle verfasst werden?
- Insbesondere personelle (Wer?) und infrastrukturelle (Wo?) Ressourcen sind für eine intensive und nachhaltige Entwicklung notwendig, insbesondere beim Aus- und Aufbau von Sportangeboten für neue Zielgruppen
- Insbesondere Personen aus der Zielgruppe selbst, die Kompetenzen zur Umsetzung von entsprechenden Angeboten haben, sollten aktiviert und eingebunden werden
- Gibt es Widerstände? Wie gehen wir mit Widerständen um? Wie gewinnen wir Befürworter?
- Die klare Benennung der Zielgruppe, die erreicht werden soll, ist die Voraussetzung für alle weiteren Aktivitäten im Verein. Auf dieser Basis können weitere Schritte wie bspw. die konkrete Ansprache angegangen werden.
- Dabei ist zu prüfen, ob diese Zielgruppe im (geographischen) Umfeld des Vereins anwesend und für den Verein erreichbar ist. Ebenso ist beachten, ob es einen Bedarf seitens der Zielgruppe gibt, den der Verein abdecken kann.
- Die Bedarfe der Zielgruppe ergeben sich teilweise aus der Zusammensetzung vor Ort. Das Angebot muss unterschiedlich gestaltet werden, wenn die Zielgruppe bspw. in der Hauptsache aus jungen Kindern und ihren Müttern besteht, als wenn es mehrheitlich Männer sind.
- Ist die „gewünschte“ Zielgruppe gar nicht im Vereinsumfeld erreichbar oder sind deren Bedarfe bereits durch andere Akteure abgedeckt, sollte der Verein von einem Engagement absehen.
- Bedarfsgerechte Sportangebote schaffen, die die Lebenswelt der Zielgruppe berücksichtigt bspw. kulturelle Besonderheiten. Um die Lebenswelt nachhaltig zu erfassen, ist der Austausch und das Miteinander mit der Zielgruppe unabdingbar.
- Rahmenbedingungen des bestehenden Sportangebots anpassen, sodass das Angebot in punkto Zeit und Räumlichkeiten zu den Bedürfnissen der Zielgruppe passen. Zu berücksichtigen sind z. B. das Zeitbudget der jeweiligen Zielgruppe und der Bedarf einer Kinderbetreuung während des Trainings. Die Anfahrtswege sollten möglichst kurz sein.
- Niederschwellige Einstiegsmöglichkeiten schaffen (bspw. offene Schnupperkurse, mobile Sportprojekte oder „Sporttage“ zum Kennenlernen des Vereinsangebots) zum Kennenlernen des Vereinsangebots
- Sportangebot des Vereins erweitern bspw. mit neuen (Trend-)Sportarten, Freizeitsport oder Gesundheitskursen. Für Menschen mit Migrationsgeschichte sind dabei Sportarten aus den Herkunftsländern besonders attraktiv
- Im Verein vorhandene personelle Ressourcen nutzen und Angehörige der Zielgruppe, die bereits im Verein aktiv sind und/oder Interesse habe, eine neue Sportart im Verein aufzubauen, als Übungsleiter/-innen (ÜL) oder auf Funktionärsebene einbinden
- Ist ein ÜL auch Angehöriger einer Zielgruppe, fällt der Schritt in eine organisierte Übungsgruppe für weitere Angehörige leichter. Die Teilnehmer/-innen fassen schneller Vertrauen und akzeptieren die/den ÜL aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz auch als Beraterin
- Mitgliedschaftsstrukturen und finanzielle Barrieren identifizieren und abbauen auf
- Vereinsdokumente auf Zielgruppe anpassen bspw. mehrsprachig oder in leichter Sprache anbieten oder die Vereinshomepage barrierefrei machen
- Finanzielle Barrieren abbauen
- Wichtig ist hierbei, keine umfassenden Ausnahmen zu schaffen, vielmehr sollte die Gesamtstruktur der Mitgliedschaften umgestaltet und auf die Bedürfnisse aller Mitglieder angepasst werden bspw. durch eine mehrstufige Beitragsstruktur und Schnupper-/Probemitgliedschaften oder Kursgebührsysteme. Auf diese Weise wird eine interne Akzeptanz hergestellt und keine Gruppe im Verein stigmatisiert
- Zuschüssen für Mitgliedsbeiträge ermöglichen (Bildungs- und Teilhabepaket, kommunale Sozialkarten (Karlsruher Pass, Heidelberg-Pass, etc.) und vereinsseitig unterstützen
- Kulturelle/religiöse Hürden abbauen
- religiöse Feiertage aussparen und Sport nicht nur in den Abendstunden anbieten. Für Musliminnen ist der Wunsch nach langer Sportkleidung und reinen Frauen-Gruppen, ohne Zugang von Männern, zu berücksichtigen
- Widerstände bzw. Bedenken im Verein konstruktiv und wertschätzend ansprechen und lösungsorientiert diskutieren
- Die strategische Öffnung für eine neue Zielgruppen bzw. ein soziales/gesellschaftliches Thema muss im Verein mehrheitlich getragen und befürwortet werden
Perspektive Ehrenamtsgewinnung
Der Mangel an ehrenamtlich Engagierten stellt viele Vereine vor zum Teil existenziellen Herausforderungen. So ist in den letzten Jahren zwar ein erfreulicher Mitgliederzuwachs innerhalb des organisierten Sports zu verzeichnen, gleichzeitig aber auch ein deutlicher Rückgang von Trainerinnen und Trainern, Übungs- und Jugendleitungen.
Besonders auffällig dabei: In den Ehrenamtsstrukturen des organisierten Sports sind Personen mit Migrationserfahrung und/oder sozialer Benachteiligung deutlich unterrepräsentiert und werden wenig bis gar nicht erreicht. Die Ehrenamtsstruktur bildet dementsprechend in keiner Weise die gesellschaftliche Realität wieder. Hauptursache ist, dass viele Sportvereine bestimmte Zielgruppen für das Ehrenamt, insbesondere für die Funktionärsebene nicht erreichen und/oder nicht (mehr) attraktiv für diese Zielgruppen sind. Die Öffnung für Vielfalt und Diversität, also die gezielt Ausrichtung der Sportvereine auf die Anforderungen, Bedürfnisse und Bedarfe einer vielfältigen Gesellschaft, kann diesen Problemlagen entgegenwirken.
Angebotsentwicklung
Die Einbindung neuer Zielgruppen in den Verein kann einen Impuls zur Vereinsentwicklung darstellen. Häufig begründet sich die Abwesenheit von Zielgruppen in Sportvereinen darin, dass ein passendes Angebot für eben diese fehlt, sei es in inhaltlicher, organisatorischer oder auf anderen Faktoren basierender Hinsicht. Unabhängig vom Ziel, eine neue Zielgruppe für den Verein zu gewinnen empfiehlt es sich, regelmäßig das eigene Sportangebot zu prüfen und offen für Veränderungen zu sein – sowohl im Hinblick auf die Interessen und Bedürfnisse potenziell neuer als auch der bestehenden Mitglieder. Letztere gilt es bei entsprechenden Sportangebotsentwicklungen eng miteinzubeziehen und insbesondere auch deren Anliegen zu berücksichtigen.
- Was soll nach einer definierenden Zeit (bspw. nach 3 Jahren) besser/anders sein als heute?
- Welche Zielgruppe(n) (Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, sozial Benachteiligte, wohnungslose Personen, FLINTA*-Personen, usw.) aus dem (geographischen) Umfeld sind im Verein nicht oder kaum zu finden?
- Welches Sportangebot haben wir? Spricht unser Sportangebot die Interessen und/oder Bedürfnisse der Zielgruppe an?
- Gibt es „Angebotslücken“ in der Sportlandschaft im Umfeld des Vereins, die wir füllen können und möchten?
- Gibt es Nachfragen zu anderen (Sport-)Angeboten, die wir im Rahmen unserer Ressourcen umsetzen können? Was wünschen sich bestehende Mitglieder?
- Welche personellen und infrastrukturellen (Hallen-/Platzzeiten) Ressourcen stehen hierfür zur Verfügung?
- Haben wir bereits Wissen über oder auch Qualifikationen in neuen/anderen Sportarten im Verein, auf die wir zurückgreifen können?
- Können wir unser Angebot effektiv(er) und zielgruppenbezogener bewerben?
- Welches Netzwerk, also Einrichtungen, Organisationen, Vereine (Diakonie, Caritas, Jugendhäuser, Initiativen) usw. gibt es in meinem Vereinsumfeld, die die diese Zielgruppe bereits erreichen/mit der Zielgruppe zusammenarbeiten? Wie können diese Netzwerke den Ausbau des Angebots unterstützen?
- Gibt es Widerstände? Wie gehen wir mit Widerständen um? Wie gewinnen wir Befürworter?
Durch die Aufnahme neuer Angebote wie bspw. Trendsportarten oder ausländischer Sportarten kann ein neues Publikum sehr gezielt adressiert und im Hinblick auf deren Interessen abgeholt werden. Für Menschen mit Migrationsgeschichte sind dabei Sportarten aus den Herkunftsländern besonders attraktiv. Ebenso kann die Aufnahme von Freizeitsportangeboten oder Gesundheitskursen bspw. auch als Erweiterung bestehender Sportangebote neue Zielgruppen aktivieren. Darüber hinaus helfen niederschwellige Einstiegsmöglichkeiten wie offene Schnupperkurse, mobile Sportprojekte oder „Sporttage“ zum Kennenlernen des Vereinsangebots neue Teilnehmende zu erreichen.
Grundlage für jede Erweiterung des Sportangebots oder den Ausbau bestehender Angebote ist die Verfügbarkeit von infrastrukturellen Ressourcen, daher freie Zeiten in Sporthallen oder Freiplätzen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, zu welchen Zeiten die Sportflächen in Abhängigkeit der Verfügbarkeit der Zielgruppe benötigt werden. So könnten Eltern mit Babys und Kleinkindern bspw. Randzeiten am Vormittag nutzen. Sollte in den Vereinsstätten keine Zeiten frei sein, besteht eventuell die Möglichkeiten in Zusammenarbeit mit einem Netzwerkpartner, das Sportangebot nach Möglichkeit in dessen Räume zu verlagern, sofern diese für das angedachte Angebot adäquat sind.
Neben der Verfügbarkeit von Räumlichkeiten ist auch das Vorhandensein personeller Ressourcen elementar. Hier sollte zunächst in der Innensicht geprüft werden, welche Expertise und Kapazität bereits im Verein vorhanden ist, insbesondere ob Angehörige der Zielgruppe schon im Verein aktiv sind. Falls vorhanden muss dieses Kapital zwingend aktiviert und eingebunden werden, bspw. Personen, die Erfahrungen oder bereits Qualifikationen in einer neuen Sportart haben. Ist ein ÜL auch Angehöriger der eigenen Zielgruppe, fällt der Schritt in eine organisierte Übungsgruppe für weitere Angehörige leichter. Die Teilnehmer/-innen fassen schneller Vertrauen und akzeptieren die/den ÜL aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz auch als Berater/-in. So können entsprechende Personen als Ansprechpartner für neue Zielgruppe fungieren.
Die Eigeninitiative von Mitgliedern, neue Angebote im Verein aufzubauen oder bestehende weiterzuentwickeln, sich dabei als ÜL oder auf Funktionärsebene einzubringen, sollte – sofern die Rahmenbedingungen adäquat und umsetzbar sind – von Vereinsseite unterstützt und gefördert werden.
Essentiell ist auch die entsprechende Informationsarbeit zum erweiterten bzw. neuen Sportangebot. Eine Bewerbung nach innen für die bestehenden Mitglieder sollte dabei ebenso bedacht werden, wie die zielgerichteten und breiten Öffentlichkeitsarbeit nach außen. Insbesondere eine planvolle zielgruppenspezifische Ansprache ist zentral, um eben diese für neue Sportangebote zu gewinnen. Dabei sollten sowohl die Angehörigen dieser Zielgruppe, die auch in das neue/erweiterte Angebot eingebunden sind, als auch Organisationen, die mit der Zielgruppe zusammenarbeiten, und weitere Netzwerkpartner involviert werden.
Grundsätzlich können auch Netzwerke innerhalb und außerhalb des Sports dabei helfen, das Vereinsangebot bekannt zu machen und gleichermaßen Kenntnisse über konkrete Bedürfnisse der neuen Zielgruppe zu erlangen. Besonders interessant für die Vereine ist die Kooperationen mit Organisationen, die die Zielgruppe bereits erreichen, z. B. Migrantenorganisationen, die direkte Kontakte zur Zielgruppe sowie Informationen über deren (sportliches) Interesse haben oder abfragen können.
Um bestimmte Zielgruppe für den Verein zu erreichen ist es daher ratsam, bedarfsgerechte Angebote zu schaffen, die die Lebenswelt der Zielgruppe und deren Besonderheiten berücksichtigen. Die Erfahrungen aus verschiedenen Projekten zeigen bspw., dass Menschen mit Migrationsgeschichte Sportangebote besonders gerne wahrnehmen, wenn diese mit einem zusätzlichen Angebot außerhalb des Sports kombiniert werden. Entsprechend erscheint es ratsam für diese Zielgruppe den Sport mit einem bspw. sozialen Angebot zu ergänzen. Auch hier können Netzwerkpartner wertvoll sein, in dem dessen bestehende Angebote, wie bspw. ein Frauencafe mit einem Sportangebot für Frauen zu verknüpfen. Mit der Bündelung der Kompetenzen wird ein Mehrwert für den Sportverein, die kooperierende Organisation und nicht zuletzt die teilnehmenden Personen geschaffen. Für den Verein besteht dieser Mehrwert bspw. darin, außersportliche Zusatzangebote zu etablieren Elternarbeit aufzunehmen oder sozialpädagogische Arbeit zur Einbindung schwer erreichbarer Gruppen als Vereinsinhalt aufzubauen.
Perspektive soziales/gesellschaftliches Engagement
Ein Sportverein ist immer auch ein sozialer und gesellschaftlicher Akteur. Ob gewollt oder nicht, ob aktiv in der Sache oder passiv – wie sich ein Verein insgesamt oder auch Führungspersönlichkeiten und „Opinion Leader“ eines Vereins zu gesellschaftlichen Themen positionieren, hat Effekte im Verein selbst, aber auch darüber hinaus in dessen Umfeld. Dass Sport auch immer politisch ist, haben viele der letzten Großsportereignisse gezeigt, doch auch im Kleinen gibt es immer wieder Situationen, in denen ein Verein gar nicht unpolitisch sein oder sich nicht positionieren kann. Häufig haben scheinbar politische oder ideelle Entscheidungen pragmatische Hintergründe und dienen dem Erhalt oder der Entwicklung des Vereins: Bei Sanierungen stehen Themen wie Nachhaltigkeit und Energieeffizienz im Mittelpunkt, deren Berücksichtigung finanzielle Entlastung für den Verein bedeuten und meist wenig mit ideellen Debatten rund um erneuerbare Energien zu tun haben.
Dennoch sendet der Verein – ob gezielt oder nicht – damit eine entsprechende Botschaft an seine Mitglieder und das Vereinsumfeld. In ähnlicher Weise sind Themen wie Integration oder Inklusion bzw. die Gewinnung neuer Zielgruppen für Sportvereine neben dem gesellschaftlichen Aspekt auch Entwicklungsperspektiven und in manchen Fällen bereits Überlebensstrategien. Gleichberechtigte Teilhabe aller am und die nachhaltige Integration neuer Zielgruppen in den Sport werden für das Fortbestehenden von Abteilungen, ganzer Vereine sowie der vielfältigen Sport(vereins-)landschaft insgesamt elementare Aufgaben des organisierten Sports werden.
Leitfragen
- Was soll nach einer definierenden Zeit (bspw. nach 3 Jahren) besser/anders sein als heute?
- Welche Zielgruppe(n) (Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, sozial Benachteiligte, wohnungslose Personen, FLINTA*-Personen, usw.) aus dem (geographischen) Umfeld sind im Verein nicht oder kaum zu finden?
- Gibt es ein soziales/gesellschaftliches Thema, dem wir uns künftig im Verein intensiver annehmen möchten?
- Gibt es Grundsätze, die in der Vereinssatzung festgehalten sind, bspw. Integration oder Inklusion, die stärker im Vereinsalltag sichtbar werden sollen?
- Haben wir ein Vereinsleitbild? Welche Grundsätze, Haltungen und Werte werden dort vermittelt? Leben wir das Leitbild im Verein?
- Gibt es bedarf Vereinsmitglieder für soziale/gesellschaftliche Themen zu sensibilisieren oder zu schulen?
- Welche Ressourcen, insbesondere hinsichtlich engagierter Personen, haben wir im Verein, um das Thema nachhaltig einzubringen?
- Welches Netzwerk, also Einrichtungen, Organisationen, Vereine (Diakonie, Caritas, Jugendhäuser, Initiativen) usw. gibt es in meinem Vereinsumfeld, die die diese Zielgruppe bereits erreichen/mit der Zielgruppe zusammenarbeiten? Wie können diese Netzwerke den Ausbau des Angebots unterstützen?
- Gibt es Widerstände? Wie gehen wir mit Widerständen um? Wie gewinnen wir Befürworter?
Das soziale/gesellschaftliche Engagement eines Vereins entsteht bzw. ist meist im Kontext zu anderen Entwicklungsprozessen im Verein verortet. Ein besonderer Blick auf Inklusion oder Bemühungen zur Integration von Geflüchteten stehen meist in direktem Zusammenhang mit dem Kontakt zu entsprechenden Zielgruppen bspw., weil der Verein im Hinblick auf ein inklusives Angebot angesprochen wird oder eine Unterkunft für Geflüchtete in der Nähe des Vereinsgeländes eröffnet wird. Das ideelle Engagement und der praktische Einsatz gehen also häufig Hand in Hand!
Um soziales Engagement im Verein zu verankern, bedarf es vorrangig einen breiten Konsens im Verein und das Verständnis, dass ein solches Engagement nur als Querschnittsthema und personenunabhängig nachhaltig etabliert werden kann. Entsprechend sollte eine gemeinsame Haltung und geteilte Werte des Vereins entwickelt werden. Dies kann bspw. – falls nicht bereits vorhanden – in Form eines Entwicklungsprozesses für ein Vereinsleitbild organisiert werden. Im Fokus sollten dabei stets zwei Zielgruppen stehen: Bestehende Mitglieder und Ehrenamtliche sowie neue Vereinsmitglieder und Ehrenamtliche aus dem Kreise der Zielgruppe. An der Entwicklung sollten möglichst alle Abteilungen und Bereiche des Vereins mitwirken, zentral ist zudem die aktive Beteiligung von Personen mit Richtlinienkompetenz im Verein, also insbesondere Vorstandsmitglieder. Ein Vereinsleitbild kann neben der Vereinssatzung, das als „Grundgesetz“ des Vereins alle rechtlichen Erfordernisse abdeckt, gezielt die „Vereinskultur“ sowie Haltungen und Werte vermitteln, die nicht in der Satzung niedergeschrieben sind. Festgeschrieben werden kann bspw. eine Willkommenskultur im Verein für neue Mitglieder, ein Jugendkonzept, Integration als Vereinsziel oder grundsätzliche Möglichkeiten der Partizipation im Verein.
Integration und Inklusion als Vereinsziel
In die Vereinssatzung kann als klares Signal ebenso Integration oder Inklusion als Vereinsziel aufgenommen werden oder auch die Positionierung gegen Menschenfeindlichkeit, rassistisches Gedankengut und das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung eingefügt werden. Entsprechende Formulierungen in der Satzung geben dem Verein auch mehr Handlungsmöglichkeiten bei Verstößen oder Zuwiderhandlungen als das (rechtlich) weniger verbindliche Leitbild. Auch auf personeller Ebene kann durch die Einrichtung eines (Wahl-)Amts „Integrationsbeauftragter“ auf Vorstandsebene deutlich gemacht werden, dass der Verein das Engagement als langfristiges und nachhaltiges Themenfeld besetzt. Damit einhergehend ist durch ein entsprechendes Amt klare Zuständigkeit geschaffen und eine Kontaktperson im Verein installiert.
Sensibilisierung und Qualifizierung im Themenfeld
Gelebt wird soziales Engagement aber nicht durch Wörter auf Papier, sondern durch die Menschen, die den Verein gestalten. Daher wird das Engagement erst durch dessen Umsetzung im Vereinsalltag lebendig. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass es neben der Wertschätzung von Diversität und Vielfalt an sich sowie einer grundsätzlichen Offenheit auch erforderlich sein kann, Sensibilisierung und Qualifizierung im Themenfeld für die Vereinsmitglieder anzubieten. Das Wissen um kulturelle Vielfalt, Kompetenzen im Umgang mit Diversität im Sport und die bewusste Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Zielgruppe sind grundlegend für eine nachhaltige Willkommenskultur im Verein. In gleicher Weise sollte auch Informationsarbeit in Richtung der neuen Zielgruppe gemacht werden, insbesondere wenn deren Angehörige nicht im Vereinssystem sozialisiert worden sind oder schlicht Kenntnisse darüber fehlen, wie der spezifische Verein funktioniert, welche Werte in ihm gelebt werden und welche Kommunikations- und Verhaltensweisen zu dessen Identität gehören. Zusätzlich sollten sowohl bestehende Veranstaltungen als auch neue Formate genutzt werden, um Begegnung zu schaffen, sowie soziale Distanz und Vorurteile abzubauen.
Netzwerke innerhalb und außerhalb des Sports ermöglichen Kooperationen mit potenziellen Partnern, die Zugänge und Erfahrungen in der Zusammenarbeit im Engagementfeld des Vereins bzw. mit der Zielgruppe haben. In diesen Netzwerken können Sportvereine mit ihren Partnern Kompetenzen bündeln und gegenseitig von den Ressourcen des anderen profitieren. Der Mehrwert liegt bspw. darin, Vereinsmitgliedern den Zugang zu nicht-sportlichen Angeboten zu erleichtern und umgekehrt weitere Potenziale der Zielgruppe für den Verein zu gewinnen.